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Genua

Eine ausführlichere Fassung dieses Texts erschien am 12.2.04 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Heinrich Heines Urteil war scharf: "Die Stadt ist hässlich über alle Maßen". Nur unter dem Nachthimmel gefiel ihm Genua etwas besser, "dann bespülen die blauen Meerwellen es plätschernd wie ein Ammenlied, der Mond, das blasse Auge der Nacht, schaut mit Wehmut darauf hinab." Nur wenig später zeigte sich Richard Wagner von der Hauptstadt Liguriens völlig fasziniert: "Der herrliche Eindruck dieser Stadt kämpft noch bis heutigentags die Sehnsucht nach dem übrigen Italien in mir nieder. Ich fühlte mich einige Tage in wahrhaftigem Rausche."

Ob Genua die Reise lohnt, darüber gab es noch nie eine einhellige Meinung. Denn die Großstadt von gegenwärtig 630.000 Einwohnern, die seit dem frühen Mittelalter zu den wirtschaftlichen Schwerpunkten Italiens zählt, zeichnet sich zwar durch große Vitalität aus, aber nicht - wie andere italienische Reiseziele - durch idyllische Schönheit. Gewiß, die ungewöhnliche Stadtlandschaft hat ihren Reiz. Überall spürt man das Meer, an dessen Ufer sich Hafenanlagen und Wohnviertel im Halbkreis drängen. Die verwinkelte Altstadt gilt als die größte Europas. Darüber ziehen sich karge Hügel empor; hier befinden sich die traditionellen Wohnquartiere der besser gestellten Genuesen. "Die Lage von Genua entfaltet eins der prachtvollsten und reichsten Gemälde des Erdbodens", notierte im 19.Jhdt. Friedrich von Matthison. Doch das Stadtbild umfaßt zwar mittelalterliche Kirchen, prunkvolle Barockpalazzi und die jahrhundertealten Gassen des historischen Zentrums, ebenso deutlich aber werden schon beim ersten Blick Industrie- und Hafenanlagen, Hochhäuser, vielspurige Straßen und moderne Wohnblocks. Das ist nicht die Italien-Idylle, die Touristen erwarten. Die meisten von ihnen lassen die Stadt daher auch links oder rechts liegen und fahren weiter zu den Stränden der Riviera, den Wanderwegen der Cinque Terre und den Kulturdenkmälern der Toskana.

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Neuer Schwung

Neuerdings aber erhalten die Genua-Fans Auftrieb. Denn kaum eine andere italienische Großstadt hat sich in den letzten Jahren atmosphärisch und architektonisch so gut entwickelt. Zahlreiche Gebäude der Altstadt wurden renoviert, in den ausgedehnten Anlagen des Alten Hafens wuchsen interessante moderne Bauten empor, neue Museen öffneten ihre Pforten. Fußgängerzonen, in denen man heute genüßlich flaniert, lassen vergessen, daß hier noch vor wenigen Jahren Autoabgase die Luft verpesteten.

Diese Entwicklung erreicht 2004 mit der Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt (zusammen mit dem nordfranzösischen Lille) ihren krönenden Abschluß. Nach den Kolumbus-Feiern 1992 und dem G-8-Treffen 2001 profitiert Genua nun zum dritten Mal in zwölf Jahren von einem international beachteten Großereignis. Jedesmal erhielt die Stadt beträchtliche Subventionen. Sie wurden sinnvoll für eine urbane Erneuerung genutzt, deren Ergebnis heute positiv vor den Augen steht.

Dieser Prozeß verlief zwar nicht ohne Widersprüche. Die Gelder für die 'Colombiadi' versickerten teilweise im Korruptionssumpf. Der G-8-Gipfel endete mit brutalen Straßenschlachten und dem Tod eines Demonstranten. Die Arbeiten für das Europäische Kulturjahr wurden von einem tragischen Unfall überschattet, als im November 2003 ein Flügel des im Bau befindlichen Museo Nazionale del Mare einstürzte; dabei starb ein Arbeiter und mehrere weitere wurden verletzt. Die für den März 2004 vorgesehene Eröffnung des geplanten größten Meeres- und Schiffahrtsmuseums im gesamten Mittelmeerraum wird sich nun mindestens um einige Monate verzögern.

Dennoch ist die Bilanz der Zeit seit 1990 für Genua eindeutig positiv. Damals schien es so, als kippe vor allem die Altstadt allmählich in den sozialen und physischen Verfall. In vielen Gassen machten sich Drogenhändler breit. Zahlreiche Gebäude verfielen, in Kellerräumen und verlassenen Bauten hausten Hunderte farbiger Einwanderer, manche Zonen waren erschreckend schmutzig. Dabei hielt das soziale Gefüge noch stand, es gab neben den Zeichen der Dekadenz elegante Cafés und Geschäfte, aber die alteingesessenen Einwohner gerieten immer mehr in die Defensive.

Heute präsentiert sich das historische Zentrum in neuem Gewand. Erfreulicherweise ist es zwar nicht zur Puppenstube geworden. Ein bißchen Dreck und ein bißchen Unmoral gehören nun einmal zu einer Hafenstadt, und Genua wird sich nie so schnuckelig herausputzen wie Verona oder Siena. Doch ist die Altstadt erheblich sauberer und wohnlicher als vor zehn Jahren, neben die traditionellen Cafés und alteingesessenen Trattorie traten neue Lokale, Galerien und Geschäfte, der Drogenhandel wurde zurückgedrängt. In vielen Gegenden, in denen man sich vor nicht allzu langer Zeit nachts sehr unwohl fühlte, bummelt man jetzt entspannt von Lokal zu Lokal.

Der Alte Hafen

Die stärksten architektonischen Veränderungen erfolgten im Alten Hafen. Durch die Verlagerung des Güterverkehrs in den Westen der Stadt war der Porto Antico weitgehend funktionslos geworden. Seit 1992 entstand hier ein zum Bummeln und Schauen geeignetes ausgedehntes autofreies Gelände als neuer Treffpunkt für Genuesen und Touristen. Der einheimische Star-Architekt Renzo Piano baute die ehemaligen Lagerhäuser Magazzini del Cotone zu einem Kongreßzentrum um und errichtete weitere originelle Bauten: den einem Mastbaum nachempfundenen Bigo und die Bolla, die gläserne "Blase", die ein tropisches Gewächshaus beherbergt. Das Museum Padiglione del Mare zeigt u.a. die Rekonstruktion einer alten Werft und einer genuesischen Straße mit Läden und Werkstätten, dazu historische Schiffsmodelle und Navigationsinstrumente; sein Bestand wird in das geplante, sehr viel größere neue Meeres- und Schiffahrtsmuseum übergehen, das gegenwärtig ebenfalls am Alten Hafen nach Plänen des spanischen Architekten Guillermo Vázquez Consuegra emporwächst.
Zur größten Attraktion des Hafengeländes entwickelte sich das Acquario. Im größten Meerwasserzoo Europas kann man Tausende von Meerestieren bewundern, außerdem wurden hier verschiedene Ökosysteme anschaulich rekonstruiert: der tropische Regenwald, ein Korallenriff, das Rote und das Tyrrhenische Meer. Das Acquario zählt heute, obwohl man es außerhalb Italiens nur wenig kennt, zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten des Landes - es erreicht fast die Besucherzahlen von Pompeji!

Christoph Hennig



Touristeninformation Genua: www.visitgenoa.it